Dienstag, 26. Dezember 2006

Die Nebelstadt oder Das Schicksal der Aschwiden



Bei meinen Reisen in alle vier Winde bin ich gar wunderlichen Geschöpfen begegnet, und viel habe ich gehört über die Rätsel und Abgründe dieser Welt, über sagenhaft Monster und grausame Ritter, über Kobolde, Irrlichter und schreckliche Wesen ohne Fantasie und Verstand. Von gläsernen Palästen hörte ich, deren Bewohner selbst durchsichtig waren und eine Sprache hatten, die dem Klirren kristallener Gefäße glich.
Die Feuer des Berges Ildamur, dessen schweflige Dämpfe die Ildwiten alleine ertragen können – kleine schuppige Wesen, die selten den Weg in andere Städte finden und deren grollendes Wort ein Echo des Berges selbst ist, habe ich selbst gesehen.
Vieles, was die wandernden Geschöpfe berichten, ist übertrieben, von Mund zu Mund weitergegeben und durch unzählige Erzähler ausgeschmückt worden, bis aus der Alten Ada eine Hexe mit übermenschlichen Kräften wurde, die nachts in fremder Gestalt über die Wasser spukte und der lange Olem ein Riese sein sollte, der Bäume und Häuser entwurzelte und Steine aß.
Aber das, wovon ich jetzt erzählen will, ist wahr, ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Es hat mich seltsam berührt… und so will ich Euch davon berichten.

Weit hinter dem Ort, wo sich Sonne und Mond zum Zwiegespräch treffen, noch hinter dem eisigen Lavastrom, der niemals versiegt und der Kapelle der singenden Seelen liegt eine Stadt. Sie scheint hinter einem Tuch aus Watte verborgen zu sein und nur selten durchdringt ein Sonnenstrahl oder der eisige Glanz des Wintersternes den Nebel, der jedes Geräusch und alles Licht schluckt.
Wer sich in die dichten Schwaden hineinwagt, betritt eine fremdartige Gegend. Mit jedem Schritt weicht ein wenig Farbe aus der Landschaft, den Büschen und Bäumen, dem Gras – wie wenn man langsam in eine Welt, in der es nur noch Schwarz und Weiß gibt, hinübertreten würde.
Das Rascheln der Blätter im Wind und das Wispern der Kobolde zwischen den Gräsern weichen nach und nach einer Stille, die nur durch das Summen in den eigenen Ohren unterbrochen wird.
Das Licht wird zu einem fahlen Schein, nicht hell und nicht dunkel, und selbst das Blitzen eines Irrlichtes ist nicht mehr als ein müdes Flackern.
Es ist nicht ratsam, den kurvigen Weg zur Stadt zu verlassen, denn im eintönigen Grau des Nebels verlieren Konturen ihre Prägnanz, und selbst die scharfäugigen Zwerge hätten Mühe, sich nicht im Nirgendwo zu verlieren.
Kurz bevor Stille und Leere den Kopf zu sprengen vermeinen, steht man an den Toren der Stadt, deren steinerne Mauern sich kaum vor dem Himmel abheben. Die Häuser stehen eng aneinander geschmiegt, als wollten sie sich gegenseitig davor bewahren, mit dem Hintergrund zu verschmelzen und sich selbst in Wassertröpfchen aufzulösen. Ihre Dächer sind nicht auszumachen und so manches Mal habe ich mich gefragt, ob sie nun der Nebel verbirgt, oder sie einfach mit zunehmender Höhe verschwinden.
Auch wenn sie am Anfang leer und ausgestorben erscheint, so hat diese Stadt doch ihre Bewohner – und es sind nicht wenige an der Zahl.
Du siehst sie huschen, Schatten gleich, mit menschenähnlicher Gestalt. Ihre Gesichter sind farblos wie ihre Häuser und sie kleiden sich in Stoffe, die nur noch eine Ahnung ihrer leuchtenden Vergangenheit besitzen. Wenn sie miteinander sprechen, ist es ein leises Wispern.
Manchmal scheint es dir, als hörst du ein Geräusch, vielleicht sogar ein Lachen oder Singen. Dann siehst du Menschen, die weniger grau sind, deren Augen nicht nur stumpf zu Boden blicken und deren Gewänder einen roten oder gelben Schein verbreiten.
Ein anderes Mal bist du dir nicht sicher, ob es nun eine Nebelschwade, ein leichter Windhauch war, oder ob ein Bewohner leise an dir vorbeischlich.
Denn das ist ihr Schicksal: Die Einwohner der Nebelstadt, die Aschwiden, sterben nicht, wie wir es tun.
Nur wenn sie dir Einlass in ihre Häuser gewähren, siehst du, was sie vor dem Nebel und dem Grau verbergen und bewahren wollen.
Rosa Bäckchen, blaue oder grüne Augen leuchten dir entgegen. Farbprächtige Kleidchen und bunte Hüte: Die Kinder der Aschwiden sind ein scharfer Kontrast zum Grau ihrer Heimat. Sie kommen so zur Welt, mit gesunder Farbe, sie schreien, singen und lachen.
Doch kein Sonnenstrahl kann sich in ihren Augen spiegeln, kein frischer Wind das Gelächter aus den Häusern tragen. Stattdessen dringt das Grau des Nebels in ihr Leben. Das Singen erstirbt langsam, die Kleider verlieren ihre Farbe und die Augen ihren Glanz. Bis die Aschwiden fahl werden wie der Nebel selbst. Je älter sie werden, umso mehr verblassen sie – wie wenn Wasser alle Farbe in ihnen langsam auswaschen würde und sie am Ende nichts mehr sind, als selbst eine Nebelschwade, ein Hauch wager Erinnerung.




3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hey hey hey... wow. Das ist schon etwas krass, aber unheimlich schön.

Christine hat gesagt…

Du musst bedenken, dass zu dem Zeitpunkt, als ich das schrieb, schon der dritte Tag in Folge dichtester Nebel in Ulm war..

scholli hat gesagt…

Kaum bist du nicht total von Physik umgeben kriegst du voll den Lyrikflash oder wie??? Voll cool!